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am 27.10.2023 von Yvonne Klemann

Der Zorn Palästinas - was wir für unsere "persönlichen Gazakonflikte “ lernen kö

Der Zorn Palästinas - was wir für unsere

Dieser Artikel will nicht Stellung beziehen zwischen den Fronten. (Das geschieht schon übereifrig).

Sondern beleuchten was zu kurz kommt: psychologisch zu erklären, was gerade wirklich und wirksam zwischen den Konfliktparteien (Israel und Palästina) vor sich geht. Und was wir daraus für unsere persönlichen „Gazakonflikte“ lernen können – also Lebenslagen wo wir anderen selbst unversöhnlich gegenüberstehen.

𝐴𝑙𝑠 𝐾𝑜𝑚𝑝𝑒𝑡𝑒𝑛𝑧𝑐𝑒𝑛𝑡𝑒𝑟 𝑓ü𝑟 𝑆𝑜𝑧𝑖𝑜𝑙𝑜𝑔𝑖𝑒 𝑣𝑒𝑟ö𝑓𝑓𝑒𝑛𝑡𝑙𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑑𝑖𝑒 𝐼𝐶𝑂 𝐺𝑚𝑏𝐻 𝑇𝑒𝑥𝑡𝑒 𝑧𝑢 𝑎𝑘𝑡𝑢𝑒𝑙𝑙𝑒𝑛 𝑇ℎ𝑒𝑚𝑒𝑛. Peter Tümmers von Schoenebeck 𝑏𝑒𝑙𝑒𝑢𝑐ℎ𝑡𝑒𝑡 𝑑𝑖𝑒 𝑣𝑒𝑟ℎ𝑎̈𝑛𝑔𝑛𝑖𝑠𝑣𝑜𝑙𝑙𝑒 𝑊𝑖𝑟𝑘𝑢𝑛𝑔 𝑑𝑒𝑟 𝐸𝑚𝑜𝑡𝑖𝑜𝑛 𝑍𝑜𝑟𝑛, 𝑢𝑛𝑑 𝑤𝑎𝑠 𝑤𝑖𝑟 𝑓𝑢̈𝑟 𝑢𝑛𝑠𝑒𝑟𝑒 𝑝𝑒𝑟𝑠𝑜̈𝑛𝑙𝑖𝑐ℎ𝑒𝑛 „𝐺𝑎𝑧𝑎𝑘𝑜𝑛𝑓𝑙𝑖𝑘𝑡𝑒“ 𝑙𝑒𝑟𝑛𝑒𝑛 𝑘𝑜̈𝑛𝑛𝑒𝑛.

Im heiligen Zorn leben die Kontrahenten archaische Reflexe aus, dem die vielen wortreichen Erklärungen, Stellungnahmen und Parteinamen, stets mit drastischen Abwertungen anderer Positionen versehen, nur als Camouflage dienen, um zu verschleiern, dass eben archaische Triebe das Heft des Handelns längst übernommen haben.
„Camouflage“ beschreibt dabei eine gut klingende Erklärung, die einer rein emotionalen Zornreaktion Moral und ethische Berechtigung verleihen will; also so etwas wie analytische Kontrolle vortäuschen, wo sich tatsächlich und wirksam jede Ratio längst verabschiedet und einer Sonderemotion namens „Zorn“ Platz gemacht hat.
Warum ist das bedeutsam und lehrreich für uns: Weil es auch in privaten Konflikten immer wieder zu ausufernden Streitigkeiten kommt, bei denen es längst nicht mehr um Sachlösungen geht, weil sie von Zorn getrieben sind.

👉 Zorn = Kontrollverlust

Wer ultimative Konflikte richtig deuten will, muss den Begriff „Zorn“ psychologisch verstehen.
Neben den drei psychologischen Grundemotionen, Angst, Freude und Neugier gibt es zwei weitere basale Emotionen aus der Säugetiergeschichte: Ekel und Zorn.
Im Gegensatz zu Angst-Freude-Neugier entziehen sich diese beiden der Kontrolle durch den menschlichen Geist. Wenn sich psychisch gesunde Nordeuropäer panisch vor Hausspinnen fürchten und die Ekelreaktion wie das Fluchtverhalten nicht unterdrücken können, dann handelt es sich um einen emotional nicht kontrollierbaren Reflex. Schließlich wissen diese gleichen Leute zugleich kognitiv, dass ihnen von Schlangen und Spinnen in Deutschland keine Gefahr droht. Ähnlich irrational verhält es sich mit der Reaktion Zorn. Während Wut reflektierbar ist, entzieht sich Zorn der reflektierbaren Ebene.

Erst im Jahre 1993 entdeckte man den Unterschied zwischen Wut und Zorn in einem wissenschaftlichen Versuch mit Rhesusaffen. Zwei Gruppen saßen in 2 Käfigen: Wurden beide gleich versorgt, herrschte Frieden. Bei stark unterschiedlicher Fütterung rastete die zurückgesetzte Gruppe irgendwann nur noch aus. Der Eindruck, ultimativ bedroht und existenziell gefährdet zu sein führte bei Rhesusaffen zu einer unlimitierten aggressiven Reaktion, nicht nur gegen die Bedrohung gerichtet, sondern gegen alle anderen Rhesusaffen im Umfeld und auch gegen Unterstützer. Letztlich gegen Feind und Freund.

Lektion: Zorn führt auf Dauer zu einer Schwarz-weiß-Bewertung mit hohem Selbstbezug. Letztlich werden auch Freunde als solche nicht mehr erkannt. Weil die geringste Relativierung, der Versuch Verständnis oder Verständigung zwischen den Konfliktseiten herzustellen dazu führt, dass sich beide Zornparteien auch gegen den Vermittler richten.
Zorn entzieht sich unserer emotionalen Kontrolle. Sozialpsychologisch betrachtet geschieht dabei zunächst die archaische Reaktion und anschließend eine kognitive Nachbegründung - eine „Rationalisierung“ - die erklären will, warum diese Reaktion überlegt gewesen sein will. Im Volksmund nennt man dies: sog. „Gute Gründe“ finden. Oder: mit sich ins Reine kommen.
Rhesusaffen wie Menschen, die von Zorn erfüllt sind, verhalten sich so, wie man das für den Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober beschreibt: bestialisch und unmenschlich.

👉 Raus aus Zorn – rein in Überblick:
(Achtung: Relativierungen und Verständnis)

1. Perspektive Gaza: bei 2,2 Millionen Menschen, die auf engstem Raum über 20 Jahre in einem effektiven Ghetto eingepfercht leben mit einem Anteil junger Menschen von 60 %, die einem Leben ohne Perspektive entgegensehen und zeitlebens nichts anderes kannten als Ghetto, entwickelt sich unweigerlich haltloser Zorn , der sich irgendwann und immer wieder in amoklaufhaftigen irrationalen Aggressionen entlädt.

Perspektive Israel: Überraschung - auch Israel befindet sich effektiv in einer Ghettolage: als geographisch winziges Land, umgeben von arabischen Ländern, in denen Israel das Existenzrecht großteils abgesprochen wird. Eingepfercht im Feindesland. Zu keiner Seite können Israelis einfach eine Grenze überschreiten, für uns Europäer selbstverständlich. Auch hier ist der ständige Kampf ums Überleben allgegenwärtig und somit bricht sich auch hier der Zorn Bahn sobald die Bedrohungssituation konkret erlebbar wird wie am 7. Oktober.

Zwei Lösungen zur Wahl:

Historisch häufigere Lösung: die zwei Kontrahenten prügeln solange aufeinander ein, bis einer nicht mehr aufsteht. Zynisch gesprochen: der Krieg endet damit, dass es einen gegnerischen Krieger nicht mehr gibt. In der Geschichte des Krieges ist das statistisch die häufigere Variante - leider.
Politische Lösung: Zorn in Wut (verhandelbar) verwandeln.

Scheidungsanwälte und Eheberater kennen das: solange die ehemals Verliebten im Zorn aufeinander schauen, ist Vermittlung nicht möglich.
Sind beide Seiten aber irgendwann nur noch anständig wütend, wirft man sich wohl wüste Dinge an den Kopf, diese haben aber oft reinigenden Charakter von unbequemen Wahrheiten, die man besser schon früher ausgesprochen hätte. Dann beginnt wohl nicht Versöhnung, aber doch zumindest Trennung der Kampfhähne. So dass jeder seiner Wege gehen kann und irgendwann trinkt man vielleicht wieder einen Pfefferminztee (Palästina) oder ein Bier (Bayern) miteinander.

Unwort „Wahrheit“

Im aktuellen Palästina-Konflikt herrscht in den Medien der kalte Krieg um die so genannte Deutungshoheit. Also die Frage: wer hat Recht? Wer hat die Wahrheit auf seiner Seite.
Hier droht Selbstbetrug. Weil es die eine Wahrheit im Zwischenmenschlichen nicht gibt, spricht man in der Sozialpsychologie nicht von Wahrheit.

Psychologisch spricht man stattdessen von „Wirklichkeitskonstrukt“. Also: welches Bild einer sinnvollen Wirklichkeit entwerfen sich Menschen, um sich mit den anderen und der Situation im Kontakt zu fühlen. Die Suche nach der absoluten Wahrheit, nach dem einzig richtigen Tatbestand , folgt einer menschlichen Utopie.

Seit der Aufklärung gilt in Europa das Narrativ und die Sehnsucht nach der absoluten Wahrheit.
In der Menschheitsgeschichte jedoch und in unserem soziologischen Erbe dient Wahrheit traditionell als „Nützlichkeitskonstrukt“. Fatal:
Auch wenn wir glauben, objektiv zu sein, suchen Gemeinschaften doch i.d.R. nach Wahrheiten, die Ihnen nützlich sind um Leben und Fortbestand der Gemeinschaft zu sichern. Also Wahrheiten, die es erlauben, sich unter Bedrohung schnell auf das Wesentliche zu einigen. Differenzierungen gelten dann als störend. Bei ultimativen Konflikten kann ein solches Nützlichkeitskonstrukt sein: „bei uns ist alles gut, auf der anderen Seite ist alles böse.“

Wir dürfen uns nicht wundern, dass Menschen in Not sich solche simplen Nützlichkeitskonstrukte als „Wahrheit“ glauben. Es gilt, Einigkeit in der Herde zu erhalten, und das geschieht auch um den Preis der Selbsttäuschung. Erwachen Menschen und Sozialgemeinschaften aus dem kollektiven Zorn, kann man es manchmal im Nachgang kaum glauben, wie man sich so (destruktiv) hat verhalten können.

Ziel ist es, in diesen emotionalen Kontrollverlust gar nicht erst zu geraten.
Wenn es doch passiert ist, nutzen wir Menschen eine andere „Wahrheit“ - oder besser doch ein „Nützlichkeitskonstrukt“, um mit uns selbst wieder im Reinen zu kommen.
Nämlich den Satz: im Nachhinein ist man immer klüger.

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